Freikauf der Sauerwitzer Bauern von der Robot im Jahre 1808.
Leobschützer Heimatbrief
Um das Jahr 1800 waren die Sauerwitzer Bauern noch leibeigen und wurden von ihrem Herrn oft wie ein Stück Vieh behandelt. Pflichten gegen seine Untergebenen kannte der Gutsherr oft nicht. Er nutzte die Unterdrückten aufs äußerste aus. Von dem schlimmsten Herrn, einem Grafen von Wirben, berichtet eine Kirchenchronik aus dem Jahre 1837. Wenn in der Woche sechs schöne Arbeitstage waren, so mußten die Bauern auf den Hof kommen, um ihre Fronarbeiten zu verrichten. Häufig schickte er sie auf den Gutsacker hinaus, die Steine zu sammeln, während ihre Äcker unbearbeitet liegen bleiben mußten, bis Regentage kamen. Nur selten gab er ihnen auch einen schönen Tag frei, damit sie ihre eigenen Arbeiten erledigen konnten. Viele Leute bestellten deshalb ihre Felder in der Nacht bei Mondenschein. Wie oft wurde ihnen auch die kurze Ruhezeit noch vergällt. Hierüber hat mir Herr Wanke, der Ältere, erzählt: Wenn spät abends die Hörigen in ihr Heim kamen, trafen sie gewöhnlich eine kalte Stube an. Der Mann und die Frau, von der Arbeit todmüde, bereiteten sich ein kärgliches Mahl, bei dem sie über das Notwendige in ihrer Wirtschaft berieten. Da geschah es oft, daß der Dominalbote an das Fenster klopfte und die Aufträge für den nächsten Tag vermeldete. Wurden sie nicht pünktlich ausgeführt, so hatte der Bauer eine schwere Züchtigung zu erwarten. Bei groben Verfehlungen setzte es der Gutsherr sogar mehrere Male durch, daß dem Schuldigen die Wirtschaft entzogen oder eine fremde, bedeutend kleinere, angewiesen wurde. Immer ließen sich die Dorfbewohner nicht benachteiligen. Manche versuchten sogar Vorteile durch gewagte Unternehmen herauszuschlagen. Manchmal gelang es ihnen, dem Herrn selbst oder seinem Verwalter ein Schnippchen zu schlagen. Ein Bauer brachte es fertig, sich ein beträchtliches Stück Ackerland zu erobern. Seine Besitzung grenzte an den Gutswald, dessen Saum sich in sehr zackiger und unübersichtlicher Linie durch die Felder hinzog. Die Grenzpfähle waren deshalb sehr wenig zu erkennen. Der Bauer rückte also diese ein Stück weiter in den Dominalwald hinein und begann sogleich mit dem Roden der Bäume. Als eines Tages der neue Verwalter vorbeiritt, erkundigte er sich sogleich danach, für wen er eigentlich Holz fälle. Darauf erklärte ihm der Bauer, daß er seinen eigenen Wald urbar machen wolle. Der Verwalter glaubte ihm, da er seine Feldmark und die näheren Umstände nicht genau kannte. Dieses Ereignis gibt uns ein klares Bild über das Verhältnis zwischen dem Herrn und dem mit Gewalt niedergedrückten Leibeigenen.

Man kann sich leicht vorstellen, daß die Bauern mit geballten Fäusten und zusammengebissenen Zähnen zur Fronarbeit gingen. Die größten Opfer wären nicht zu drückend gewesen, wenn nur das Sklavenjoch dadurch hätte erleichtert oder gar abgeschüttelt werden können. Man wartete nur noch auf eine günstige Gelegenheit dazu. Diese schien eintreten zu wollen, als mit Sturmeseile über das ganze Dorf sich die Nachricht verbreitete, daß der Graf seine Besitzung wegen zu hoher Schulden verkaufen müsse, und daß auch die Gemeinde als Käufer zugelassen werde. Mein Urgroßvater hat an der Käuferversammlung teilgenommen und meinem Vater von ihrem Verlauf erzählt. Die Sauerwitzer Bauern und die Vertreter des Grafen von Wyrben verhandelten gerade über die Kaufsumme, als der Löwitzer Gutsherr eintrat und alle Anwesenden von oben herab musterte, was bei den Dorfbewohnern großen Unwillen hervorrief. Als er den Preis für das Dominium vernahm, begann er die Käufer nacheinander zu überbieten, auch die Sauerwitzer. Da brach auf einmal ihre Wut los. Die meisten stürzten mit Stuhlbeinen auf ihn ein. Mit Mühe und Not entkam er aus dem Wirrwar durch einen kühnen Sprung aus dem Fenster. Die Bauern verhandelten eifrig weiter mit des Grafen Gläubigern, die die Leibeigenschaft rücksichtslos dazu benutzten, um eine ihnen genehme Kaufsumme herauszuschlagen. Die Bauern hatten den Kauf beinahe abgeschlossen, als ein neuer Bieter auftauchte. Dieser bereitete ihnen die mannigfachsten Schwierigkeiten. Sollten sie ihr nahes Ziel doch nicht erreichen und alle ihre Mühen vergebens sein? In ihrer Verzweiflung wußten sie keinen anderen Ausweg, als eine Abordnung zu dem neuen Bieter zu schicken und ihm einige tausend Taler anzubieten, damit er von seinem Vorhaben abstehe. Der nahm den günstigen Vorschlag an. Bei seinem Weggange führte er die besten Obstbäume und die hervorragenden Glashäuser mit ihren prächtigen Gewächsen mit. Gern nahm man alle Opfer auf sich, um recht bald die Knechtschaft abzuschütteln. Der Tag der Freiheit brach endlich an: der 10. Dezember 1808. Der erste Weg führte die freien Bauern in feierlicher Prozession zur Kirche, wo sie Gott für die Erlösung von der Knechtschaft dankten. Noch heute wird der 10. Dezember als Gelöbnistag gehalten. Im Freudentaumel zerstörte man das Schloß bis auf einige Mauerreste, ein törichtes, aber verständliches Tun. Im Schloß erblickten die Bauern ja die Zwingburg ihrer Freiheit. Die teuer erkaufte Freiheit brachte aber nicht bald den erwarteten Erfolg und wirtschaftlichen Aufschwung. Die Schulden der Gemeinde, - sie betrugen etwa  103 330 Taler,  - und die jedes einzelnen erreichten eine solche Höhe, daß die Zinsen nicht mehr aufgebracht werden konnten. Die Mißstände wurden noch durch die Franzosenkriege verschlimmert. Die fremden Soldaten nahmen den Bauern den letzten Halm. Sie ernteten das Getreide ab, verwüsteten die Saaten und holten das letzte Vieh aus dem Stalle. Hinzu kamem noch sehr hohe Kriegstribute, welche die finanzielle Lage unhaltbar machten. Um die Franzosen zufriedenzustellen, wurde eine Geldanleihe aufgenommen. Kaum waren die Feinde abgezogen, als sich die ersten Gläubiger zeigten, die ihre inzwischen sehr angewachsenen Zinsen einforderten. In rücksichstlosester Weise gingen sie vor. Sie trachteten danach, die Bauern mit Gewalt wieder zur Fronarbeit zu zwingen, um so das Geld herauszuwirtschaften. Unsere Dorfbewohner hätte sicherlich das harte Los getroffen, wenn nicht ein rettender Engel in der Persorn des Barons Karl v o n G u t t s c h r e i b e r erschienen wäre. Er erließ ihnen die fälligen Zinsen und forderte auch die anderen Gläubiger auf, seinem Beispiele zu folgen. Durch seinen kraftvollen Beistand gelang es, die Gemeinde wirtschaftlich zu heben.

Der aufsteigende Entwicklungsgang wurde jedoch öfter durch Naturgewalten gehemmt. 1830 brach in der Mitte des Dorfes ein Großfeuer aus, das ungefähr 30 Besitzungen einäscherte. Den Schaden hatten die Gemeinden noch nicht überstanden, als eine neue Feuersbrunst das Dorf heimsuchte. Dieses Mal fiel eine ganze Straßenseite dem vernichtendem Elemente zum Opfer. Viel Zeit zum Aufbauen und zum wirtschaftlichen Aufstieg war den Leuten nicht vergönnt: denn im Jahre 1865 riß ein Wolkenbruch mehrere Häuser ein. Die Fluten standen stellenweise so hoch, daß die Menschen nur durch Reiter vom Ertrinken gerettet werden konnten, während das Vieh zum größten Teil umkam. Der Bauer Johann R o t t e r  zeichnete sich durch sein mutiges Eingreifen ganz besonders aus. Die reißenden Ströme zerwühlten die Äcker und vernichteten die Feldfrüchte. Mit Bangen blickten die Bauern der Zukunft entgegen. Da traf ein neuer schwerer Schlag das Dorf. Durch ein furchtbares Hagelwetter im Jahre 1877 wurde die Ernte teils vollständig, teils bis zu 50% vernichtet. Schweigend und mit traurigen Augen sah man die Bewohner einhergehen. Viele glaubten an ein Strafgericht Gottes und flehten noch inbrünstiger, um Abwendung anderer Schicksalsschläge. Noch einmal kam im Jahre 1899 ein Verhängnis über unsere Gemeinde: Eine große Trockenheit, die eine Hungersnot mit sich brachte. Durch die entsetzliche Dürre, von April bis August fiel kein Regen, vertrockneten alle Pflanzen. Menschen und Vieh mangelten die Nahrungsmittel. Aber mit Gottvertrauen ertrug der Bauer auch diese Prüfung. Da nahte endlich für die Gemeinde eine segensvolle Zeit. ln den Jahren 1899 bis 1902 wurde die Feldmark neu verteilt. Jeder erhielt eine feste Scholle, die nicht mehr aus einem einzigen Ackerplan bestand, sondern dem einzelnem wurden zugleich gute und weniger ertragfähige Anbauflächen zugewiesen. Die Neuregelung leitete einen wirtschaftlichen Aufschwung ein. Man bebaute die Äcker sorgfältiger, um größeren Gewinn zu erzielen. Die Erträge steigerten sich so, daß die meisten Bauern neue Scheunen bauen mußten. Auch die Gemeinde war imstande, alle Schulden abzustoßen. Auf diese Weise ist es der Sauerwitzer Bauernschaft gelungen, durch rastlosen Fleiß und größte Willensstärke früher als andere Dörfer aus eigener Kraft die Freiheit zu erringen.


Von Georg Steier
Leobschützer Heimatbrief
Heft 1/56 - München 1956